Dass wir jetzt doch ein anderes, nicht aufgemotztes (wenn auch tiptop frisch geputztes und ausgesaugtes!), ein wie gewünschtes, ein tolles Auto haben, das ging so: Vor ein paar Wochen besuchte ich unsere Freunde in Berlin. Einer begleitete uns abends nach unten, nahm einen Kindersitz aus einem alten Passat Kombi, den ich nicht kannte und von dem ich nicht wusste, dass er ihn hat. Ich so: "Is ja cool. Wo hast'n den her? So einen will ich auch." Er so: "Kannste haben." Ich so: "Nehm ich." Das ist die Kurzversion, die einen schwierigen Besuch beim TÜV, eine verlorene Zulassung, einen verbasselten Tankstutzen und ähnliches ausspart. Kurz und gut: Jetzt steht er bei uns vor der Tür, der Passat. Wir haben ihn Rolf getauft, nach dem zweiten Vornamen des vorherigen Besitzers und Abverkäufers, er ißt Benzin und trinkt Flüssiggas, ist vom vielen Fahren schon ganz grau, aber ein verträglicher Zeitgenosse ganz nach unserem Geschmack.
Nach fünf Jahren ohne Auto fühlt sich das noch nicht so richtig an wie unser Auto. Da werden wir uns wieder dran gewöhnen.
Der erste Ausflug führt uns nach Werben, 13 Kilometer von hier, aber noch zur selben Verwaltungsgemeinschaft (sehr deutsches Wort) gehörend. Für alle Ortsunkundigen: Werben ist Hansestadt und zudem die kleinste Stadt Deutschlands, hat rund 1200 Einwohner und kämpft wie ein kleines gallisches Dorf ums Überleben und das gegen widrigste Umstände. Werben liegt nämlich irgendwie ganz hinten in Sachsen-Anhalt. Die Stadt wirkt, als sei sie direkt aus dem Mittelalter ins heute gefallen. Klein, aber stolz, rundherum Elbwiesen. Bloß schaffen es moderne Verwaltungsmassnahmen (noch so ein deutsches Wort) immer wieder, ihr einen Hieb ins Genick zu versetzen. Die letzte, äusserst heftige, kam im Sommer und drehte der Grundschule das Genick um. Zu, fertig, geschlossen, Ende, aus. Jetzt müssen die Knirpse jeden Morgen 13 Kilometer Schulbus nach Iden fahren. Zwergschulen gibt es in Sachsen-Anhalt nicht. Zwergstädte hin oder her.
Trotzdem, Werben kämpft ums Überleben. Und eine dieser Kampfansagen ist der Biedermeier-Christ-Markt, der jedes Jahr am 3. Adventswochenende stattfindet. Licht aus lautet dann die Devise; denn dieser Weihnachtsmarkt kommt - bis auf ein paar versteckte Taschenlampen - ohne elektrisches Licht aus; nur Kerzenlicht ist erlaubt. Es ist das gegenteiligste, was man sich vorstellen kann, wenn man ans Weihnachtsshopping in der Zürcher Bahnhofstrasse denkt. Kein Bling, kein Glitzer. Nur warmweisses Licht. Nein, geschäftsfördernd ist das nicht; zumal man die Stände im Dunklen kaum noch erkennt, von den Waren ganz zu schweigen. Egal, es wird schmecken. Eine Schmalzstulle mit Gurkenschnitz, 75 cent. Ein Stück hausgebackener Kuchen, 1 Euro. Eine grobe Bratwurst vom Biobauern aus dem Nachbardorf, Preis unbekannt, hat Florian bezahlt. Die Leute an den Ständen kommen aus Werben oder den Orten rundherum, sie machen das nicht, weil sie dafür Geld bekommen. Sie wollen mittun, helfen, ein Teil des Ganzen sein. Und so spüre ich in Werben die Liebe der Leute zu ihrem Flecken Erde.
Dann kommen wir an die Johanniskirche. Wobei "Kirche" etwas kleineres vermuten lässt, als das, was da steht. Tatsächlich ist St. Johannis in etwa so gross wie das Zürcher Grossmünster, nur steht er eben neben zweigeschossigen Fachwerkhäusern und es ist kein Prime Tower in der Nähe. Das Töchterchen sieht die Kirche und sagt: Das is aber eine große Kirche. Ja, das muss man ihr lassen, den Blick für sowas hat sie. Drinnen findet ein Weihnachtsliederabend statt, die Oma singt im Chor mit, wir hören zu. Rund 300 Leute in der Kirche mit uns, die Stimmung ist feierlich und ergriffen. Und ich denke: Ich bin froh, dass meine Kinder die Adventszeit so erleben dürfen. Tochter Zion. Ohne Bling. Maria durch ein Dornwald ging. Ohne Glitzer. Oh du fröhliche. Das Töchterchen staunt. So viele Leute. So schöne Musik. Sie hört zu, sitzt auf Papas Schultern, fragt hin und wieder etwas, aber ist geduldig. Ach.
Draussen dann altmärkisches Networking, ein Chorbruder der Oma - ein vor 23 Jahren zugezogener Schwabe mit noch immer manifestem hochdeutschem Schwäbisch - kennt einen, der wieder einen kennt, der uns einen Maurer vorstellt, der auch Zimmermann kann. Wo isch denn der Tobias? Der hettsi doch selbständig gmacht, oder? Hier isch oiner, der hett es alts Haus in Havelberg kauft, der braucht en Zimmerma. Hey, Tobias, der Günther sacht, Du hast Kundschaft hier, kommal ran da. Ja, hmm, Fachwerkhaus in Havelberg jekooft. Ja, hmm, Foto uffm Handy. Ja, wa, keen Problem, so'n Altholzlager habick och. Nee, wa, dann müsster mal anrufen, dann komm ick mal rum, wa und guck mir det an. Nee, hammer noch immer hingekriegt, wa. So sieht hierzulande Optimismus aus.